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Scheidungshäufigkeit und Kinder aus geschiedenen Ehen

Besorgt über die stetig steigende Zahl von Scheidungsfällen und der von der Scheidung ihrer Eltern betroffenen Kinder zum Ende der 1990er-Jahre, sollte das gemeinsame Modellprojekt des Bundesministeriums für Justiz und des Ministeriums für Familienangelegenheiten mit dem Titel „Familienberatung bei Gericht – Mediation – Kinderbegleitung bei Trennung und Scheidung“ (1997) neue Wege aufzeigen, wie die negativen Auswirkungen auf Kinder verringert werden können.

In der Diskussion um die Stabilität der Ehen und damit des familialen Umfeldes der Kinder wird üblicherweise von den Scheidungsanzahlen und der relativen Scheidungshäufigkeit ausgegangen. Als Maßzahl dafür dient die Gesamtscheidungsrate (GSR), die angibt, wie viele der gegenwärtig geschlossenen Ehen durch Scheidung enden, wenn die aktuell beobachteten ehedauerspezifischen Scheidungsraten unverändert blieben. Dieser hypothetische Wert GSR liegt derzeit etwas über 40%. Im Zusammenhang mit den Kinderrechten interessiert allerdings nur die Anzahl der Kinder, die von Scheidungen  betroffen sind und hier wiederum die Anzahl der minderjährigen bzw. vor allem der unter 14-jährigen Scheidungskinder. Hierbei schlägt zu Buche, dass beinahe 40% der geschiedenen Ehen keine Kinder haben. Die Wahrscheinlichkeit einer elterlichen Scheidung ehelich geborener Kinder vor Erreichen der Volljährigkeit liegt bei 20% (das ist die sogenannte Gesamt-Eltern-Scheidungsrate ehelich geborener Kinder).

Bezug zur Kinderrechtekonvention

Artikel 9 des Übereinkommens schützt Kinder vor rechtswidrigen  Eingriffen in ihre gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen. Sollte ein Kind doch von einem oder beiden Elternteilen getrennt sein, so ist gleichwohl immer sein Recht auf regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu achten, soweit dies nicht dem Wohl des Kindes widerspricht (Artikel 8 Abs. 3).

Trends und jüngste Entwicklung

Vom Anfang der 1970er Jahre mit rund 10.000 Scheidungen verdoppelte sich die jährliche Anzahl der geschiedenen Ehen in Österreich bis zur Jahrtausendwende. Im Jahr 2001 wurde die bislang höchste absolute Zahl (20.582) erreicht. Die sogenannte Gesamtscheidungsrate (Wahrscheinlichkeit, mit der im jeweiligen Jahr geschlossene Ehen bei unverändertem Scheidungsverhalten durch eine Scheidung enden) stieg in diesen drei Jahrzehnten sogar auf das 2,6-fache, nämlich von knapp 18% auf 46%. Die Anzahl der Scheidungen blieb sodann auf hohem Niveau und war im Jahr 2007 mit 20.516 die bisher zweithöchste in Österreich, die Gesamtscheidungsrate mit 49,47% sogar die höchste. Mit ein Grund dafür war eine Sondersituation bei bi-nationalen Ehen (Zunahme von „Aufenthaltsehen“ mit Maximum bei den Heiraten im Jahr 2004;  fremdenrechtliche  Maßnahmen ab 2006; Scheidungsspitze 2007). Seit 2010 dürfte bei den Scheidungen mit Raten von 43% und darunter wieder „Normalität“ gegeben sein (2012: 17.006 bzw. 42,51%). Im Jahr 2013 sank die Zahl der Scheidungen um 1.048 oder 6,2% auf 15.958. Dieser Rückgang ist sicher auf das mit 1. Februar 2013 in Kraft getretene KindNamRÄG (BGBl. I Nr. 15/2013), genauer den neuen § 95 Abs. 1a des Außerstreitgesetzes zurückzuführen, der da lautet < Portal Trennung und Scheidung >:

„(1a) Vor Abschluss oder Vorlage einer Regelung der Scheidungsfolgen bei Gericht haben die Parteien zu bescheinigen, dass sie sich über die spezifischen aus der Scheidung resultierenden Bedürfnisse ihrer minderjährigen Kinder bei einer geeigneten Person oder Einrichtung haben beraten lassen.“

Der „Scheidungsknick“ 2013 konzentrierte sich auf die Monate Februar/März, in denen 17% weniger Ehen geschieden wurden als im Vorjahr; 2014 war die Anzahl der Scheidungen in diesen beiden Monaten wieder um 15% höher. Im Jahr 2013 betrug die Gesamtscheidungsrate nur 40,14%, 2014 wieder 42,14% (16.647 geschiedene Ehen bzw. +4,3%). Ob die auf das Kindeswohl abzielende Beratungspflicht außer zu einem Rückstau von Ehescheidungen im Jahr 2013 auch zu einer Niveausenkung geführt hat, kann noch nicht gesagt werden. Nach dem Wiederanstieg von 2014 kam es 2015 und 2016 zu geringfügigen Rückgängen um 1,8% und 2,6% auf 16.351 und 15.919 Scheidungen; die GSR sank auf 41,60% und 40,45%, d.h., sie lag 2016 noch nicht unter dem Wert von 2013. Von 2017 bis 2019 wurden jedoch wieder geringe Anstiege bei der Anzahl an geschiedenen Ehen (auf 16.319 bzw. durchschnittlich +0,8% pro Jahr) verzeichnet und die GSR befand sich 2019 auf 40,68%, also in etwa dem Niveau von 2016. Im Jahr 2020 wurde, auch pandemiebedingt, mit 14.870 Scheidungen der niedrigste Wert seit 1988 verzeichnet (GSR 36,87% – so niedrig wie seit 1994 nicht mehr).

Der Anteil der geschiedenen Ehen mit Kindern betrug Anfang der 1970er Jahre zwei Drittel (66,6%) und 2001 noch immer 66,1% aller Ehescheidungen. 2007 sank der Anteil auf einen Tiefstand von 57,5%, da die geschiedenen „Aufenthaltsehen“ fast alle kinderlos waren. Von den im Jahr 2020 geschiedenen Ehen hatten 63,18% Kinder, genauer: in der Ehe geborene einschließlich legitimierter Kinder. Die Anzahl der von Scheidung der Eltern betroffenen Kinder jeglichen Alters erreichte 2001 mit 23.715 ebenso ihren Höhepunkt wie die Darunter-Zahl der unter 14-jährigen mit 14.588. Infolge des Geburtenrückgangs innerhalb der Ehen waren bis dato auch die Zahlen der Scheidungskinder rückläufig. Im Jahr 2012 waren 10.080 unter 14-Jährige von elterlicher Scheidung betroffen, 2013 mit 9.204 um 8,7% weniger, 2014 mit 9.741 wieder um 5,8% mehr. Die im ersten und zweiten Jahr der Beratungspflicht gemäß KindNamRÄG beobachtbaren Veränderungen waren am stärksten bei den unter 3-Jährigen (2012/13: -22,9%, 2013/14: +11,8%) und mit zunehmendem Alter der Kinder abgeschwächt (3 bis unter 6-Jährige: -11,4%, +8,1%; 6- bis unter 10-Jährige: -6,4%, +5,4%; 10- bis unter 14-Jährige: -3,3%, +2,7%).  Im Jahr 2015 blieb die Anzahl der unter 14-jährigen Scheidungskinder mit 9.794 praktisch unverändert auf dem Niveau des Vorjahres, sank aber 2016 um 4,3% auf 9.370 – jedoch noch nicht unter das Niveau von 2013 – und stieg von 2017 bis 2019 um durchschnittlich 2,4% pro Jahr auf 10.056 an. Den Scheidungszahlen entsprechend war auch die Zahl der betroffenen unter 14-Jährigen im Pandemiejahr 2020 mit 9.388 etwas unter dem Wert der Vorjahre. Weitgehend parallel dazu verlief die entsprechend größere Anzahl der unter 18-jährigen Scheidungskinder (z.B. 2012: 13.278, 2013: 12.201, 2016: 12.218, 2019: 12.823, 2020: 12.037). Ob und wie sich das Phänomen elterliche Scheidung mit Kindern verändert hat, kann nur mit entsprechenden Raten analysiert werden.

Die Rate der Scheidungskinder, d.h. die sog. Gesamt-Eltern-Scheidungsrate ehelich geborener Kinder, berechnet bis zum 18. Geburtstag, lag langjährig sehr eng bei 20%, fiel 2013 um 7,2% auf 18,56% und stieg 2014 wieder um 5,5% auf 19,58%. Im Jahr 2015 hielt der Wiederanstieg sehr abgeschwächt (+0,8%) auf 19,74% an, worauf es 2016 zu einem kleinen Rückgang (-2,5%) auf 19,24% kam; auch diese Rate blieb noch über der von 2013. Im Jahr 2017 wurde wieder genau das Niveau von 2015 (19,74%) erreicht. Nach einem kleinen Anstieg (+2,5%) 2018 auf 22,22% wurde 2019 mit 20,15% keine nennenswerte Veränderung zum Vorjahr verzeichnet. Im Jahr 2020 lag sie mit 18,89% (-6,3% verglichen mit 2019) deutlich darunter.

Erst bei weiterer altersspezifischer Analyse zeigt sich für die Ehen mit ganz kleinen Kindern ein dämpfender Effekt, der auf die stärkere Betonung des Kindeswohls zurückgehen könnte: Die Eltern-Scheidungsrate ehelich geborener Kinder unter drei Jahren ging von 2,47% (2012) auf 1,89% (2013) zurück und erreichte auch 2019 mit 1,90% dieses niedrigere Niveau. Dies gilt aber nicht für die weitgehend konstant bleibende Eltern-Scheidungsrate ehelich geborener Kinder, die älter als drei Jahre sind. Bei den unehelich geborenen, durch Heirat der Eltern legitimierten Kindern, die derzeit bereits gut 30% aller minderjährigen Scheidungskinder ausmachen, war der Rückgang deutlicher und erstreckte sich auf eine breitere Altersgruppe, nämlich die unter 6-jährigen Kinder; die Eltern-Scheidungsrate ging hier von 6,02% (2012) auf 5,34% (2013) und 4,80% (2016) zurück.

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