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Versorgungsbedarf chronisch kranker Kinder – Fremdeinschätzung (ATHIS)

Gesellschaftliche Veränderungen und medizinischer Fortschritt haben zu einer Zunahme an chronischer Erkrankungen in den westlichen Ländern geführt, die bereits im Kindes- und Jugendalter zu beobachten ist.

Im Rahmen der regelmäßig – derzeit alle fünf Jahre – durchgeführten österreichischen Gesundheitsbefragung (ATHIS – siehe Befragungen zur Kindergesundheit – ATHIS) wird seit 2014 eine Einschätzung des Bedarfs an langfristiger Gesundheitsversorgung von 0- bis 17-Jährigen von deren Eltern vorgenommen (Fremdeinschätzung oder Proxybefragung). Für eine Selbsteinschätzung von österreichischen Schülerinnen und Schülern im Altern von 11, 13, 15 und 17 Jahren siehe beispielsweise Chronische Erkrankung oder Behinderung – Selbsteinschätzung (HBSC).

Die Einschätzung der Eltern basiert auf einem in den USA entwickelten Fragebogen, welcher CSHCN-Screener (Children with Special Health Care Needs) genannt wird. Dieser Fragebogen wurde bereits im Gesundheitssurvey für Kinder und Jugendliche in Deutschland (KiGGS) erprobt. Er standardisiert die Definition von Kindern mit speziellem Versorgungsbedarf und ist rasch durchführbar.

Die folgenden fünf Hauptfragen wurden dabei an die Eltern gerichtet (Antwortmöglichkeiten: Ja – Nein):

Benötigt oder nimmt Ihr Kind vom Arzt verschriebene Medikamente (außer Vitamine)?
Braucht Ihr Kind mehr medizinische Versorgung, psychosoziale oder pädagogische Unterstützung, als es für Kinder in diesem Alter üblich ist?
Ist Ihr Kind in irgendeiner Art und Weise eingeschränkt oder daran gehindert, Dinge zu tun, die die meisten gleichaltrigen Kinder tun können?
Braucht oder bekommt Ihr Kind eine spezielle Therapie, wie z. B. Physiotherapie, Ergotherapie oder Sprachtherapie (Logopädie)?
Hat Ihr Kind emotionale, Entwicklungs- oder Verhaltensprobleme, für die es Behandlung bzw. Beratung benötigt oder bekommt?

Um die Langfristigkeit eines speziellen Versorgungsbedarfs zu eruieren, wurden an die Eltern bei jeder bejahten Hauptfrage jeweils die folgenden beiden Unterfragen gestellt (Antwortmöglichkeiten: Ja – Nein):

Geschieht dies auf Grund einer Krankheit, Verhaltensstörung oder eines anderen gesundheitlichen Problems?
Dauert dieses Problem bereits zwölf Monate an oder ist eine Dauer von mindestens zwölf Monaten zu erwarten?

Laut Definition des CSHCN-Screeners besteht ein spezieller, langfristiger Versorgungsbedarf, wenn die Eltern mindestens eine der fünf Hauptfragen einschließlich der dazugehörigen Unterfragen bejahen. Sobald auch nur eine der fünf Hauptfragen (also auch ohne Unterfragen) bejaht wurde, wurden zusätzliche Informationen zur Behandlung bzw. Beratung abgefragt. Für mehr zu diesen Ergebnissen (und dem gesundheitlichen Wohlbefinden der Kinder mit langfristigem, speziellem Förderbedarf lt. CSHCN-Screener) siehe Behandlung bzw. Beratung und gesundheitliches Wohlbefinden von Kindern mit speziellem Versorgungsbedarf.

Bezug zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes

Artikel 24 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes normiert die Gesundheitsvorsorge. Danach erkennen die Vertragsstaaten das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an, sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit. Die Vertragsstaaten bemühen sich sicherzustellen, dass keinem Kind das Recht auf Zugang zu derartigen Gesundheitsdiensten vorenthalten wird.

Laut Definition des CHSCN-Screeners hatten in der jüngsten österreichischen Gesundheitsbefragung 2019 insgesamt 8,3% der Kinder und Jugendlichen einen speziellen Versorgungsbedarf – hochgerechnet waren das 126.500 Kinder.
Damit ist der Bedarf, verglichen mit der Befragung fünf Jahre zuvor – 2014 war er noch bei 10,4% vorhanden – doch deutlich und auch statistisch hoch signifikant gesunken. Allerdings sollte bei nur zwei Erhebungen noch von keinem eindeutigem Trend gesprochen werden. 

Dabei war der Bedarf im Jahr 2019 bei den Buben mit 9,6% signifikant höher als bei den Mädchen mit 7,0%. Diese Diskrepanz nahm im Vergleich zur vorherigen Erhebung sogar noch zu (2014: Buben: 11,3%, Mädchen: 9,5%).

Betrachtet man die Altersgruppen, so widerspiegelt sich der allgemeine Trend eher bei den älteren Kindern (bei den unter 7-Jährigen zeigt sich keine signifikante Veränderung von 2014-2019; unter den 3- bis 6-Jährigen stieg der Bedarf sogar leicht, hauptsächlich bei den Buben).  Ab sieben Jahren können Rückgänge seit 2014 in allen Altersklassen beobachtet werden, am stärksten in der Gruppe der 11- bis 13-Jährigen (in hochgerechneten absoluten Zahlen ein Rückgang von über einem Drittel von rund 38.000 auf rund 24.000 Kinder). 

Grundsätzlich nahm der Versorgungsbedarf mit dem Alter der Kinder deutlich zu. Laut der österreichischen Gesundheitsbefragung 2019 wurde in der jüngsten Altersgruppe nur bei 3,9% der Buben und 3,7% der Mädchen ein spezieller Bedarf angegeben. Bei den 14- bis 17-Jährigen waren es bereits 10,4% der Buben und 11,4% der Mädchen. Der Geschlechterunterschied zeigt sich am deutlichsten im Alter von drei bis zehn Jahren – hier war der Versorgungsbedarf der Buben mehr als doppelt so hoch wie jener der Mädchen.
Mit einer Ausnahme (etwas höher bei 11- bis 13-Jährigen als bei noch älteren Kindern) war der Versorgungsbedarfsanstieg mit steigendem Alter der Kinder bereits 2014 – auf höherem Niveau – ebenso zu beobachten.

Bezüglich des Migrationshintergrunds (d.h. beide Elternteile wurden im Ausland geboren) und der Staatsangehörigkeit waren die Unterschiede beim Anteil der Kinder mit speziellem Versorgungsbedarf lt. CSHCN-Screener im Jahr 2014 noch geringfügig und ohne statistische Signifikanz. Diese Anteile sanken bei Kindern mit Migrationshintergrund oder ausländischer Staatsangehörigkeit bis 2019 allerdings jeweils um 2,7 Prozentpunkte und somit stärker als insgesamt. Deshalb hatten sie statistisch signifikant weniger Bedarf an spezieller Versorgung (nur 6,8% der Kinder mit Migrationshintergrund bzw. 6,7% der nicht österreichischen Kinder).

Der niedrigste Betreuungsbedarf pro Bundesland wurde 2019 in Tirol und Oberösterreich mit je 7,5% angegeben, der höchste in Kärnten (10,6%), gefolgt von Vorarlberg (9,7%). Vorarlberg ist auch das einzige Bundesland, in welchem dieser Anteil verglichen mit 2014 entgegen dem allgemeinen Trend sogar stieg – damals wurde mit 7% noch der niedrigste Wert aller Bundesländer verzeichnet.

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